Schwarzfischer

Gasthaus
Oberanger, Ecke Dultstraße

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Das nach dem Wirt Anton Schwarzfischer benannte Gasthaus existierte seit dem Jahr 1805.
Am 01.09.1927 erhielt die Wienerin Antonie Flum die Konzession und führte den Betrieb bis 1933.

„Hübsches Kaffee-, Bier- und Weinrestaurant unter Leitung einer Dame“

in Freundschaftsblatt 1929, Nr. 10

Ende der 1929er Jahre wurde es zu einem der ersten Schwulenlokale der Stadt und stand seitdem unter ständiger Beobachtung der städtischen Behörden und der Polizei.

Seit Oktober 1929 ist bekannt, dass in der Gaststätte ‚Schwarzfischer‘ […] die Homosexuellen mit Anhang verkehren.“

Auszug aus dem Schreiben der Polizei-Abt. III, Dienststelle 21 vom 23.11.1928

Zeugnisse schwulen Lebens im Schwarzfischer, sind heute noch in den akribisch geführten Überwachungsprotokollen der Polizei zu finden:

„Die Herren tanzten miteinander während zwei anwesende Damen dem Tanze fern blieben, beziehungsweise von keinem der Herrn zum Tanz eingeladen wurden. Mehrere Herrn hatten den Oberkörper stark entblösst, das heißt der Oberkörper hauptsächlich der Rücken war tief ausgeschnitten. Durchschnittlich waren die Herren stark gepudert, auch die Lippen mit Lippenstift gerötet. […] Das Verhalten der Herrn war ähnlich der Unterhaltung von Liebespaaren.“

Auszug aus einem Überwachungsbericht vom 12.01.1929

„Die Musik bot ein Klavierspieler, der von Zeit zu Zeit von Tisch zu Tisch sammeln ging. […] Während des Tanzes küssten sich die miteinander tanzenden Männer gegenseitig wie Liebespaare. Sie pressten die Unterkörper aneinander und machten ordinäre Bewegungen. Auch griffen sie sich an den allerdings bedeckten Geschlechtsteil. […] Der Tanz wurde durch zwei Einlagen unterbrochen, betitelt:
    1. Die Frau Kanalrat und Frau Hausmeisterin
    2. Die Frau Kanalrat bei 5 Uhr Tee.
Beide Darsteller waren Männer.“

Auszug aus einem Überwachungsbericht vom 27.01.1929

Gaststätte Schwarzfischer 1910, Gebäudeansicht

Quelle: Stadtarchiv München

Gaststätte Schwarzfischer 1910,
Gastraum

Quelle: Stadtarchiv München

„Wenn eine Person an das Telefon gerufen wurde, so begaben sich immer zwei Männer in die Telefonkabine. Die Kabine ist vollkommen geschlossen und ohne Fenster. Zwei Männer wurden von mir beobachtet, wie sie die Kabine anscheinend zum Zwecke des Telefonierens betreten haben und sie nach kurzer Zeit erregt mit roten Köpfen verliessen. Was sie gemacht hatten, konnte nicht wahrgenommen werden.“

Auszug aus einem Überwachungsbericht vom 27.01.1929

In der Nacht vom 09. auf den 10. Februar 1929 startete die Polizei eine erste Razzia, bei der alle dort anwesenden Gäste festgenommen wurden.

„Anlässlich dieser Streife wurden aus der Gaststätte 68 Mannspersonen wegen Verdachts der widernatürlichen Unzucht, darunter 8 Jugendliche vorgeführt. […] Die Gaststätte Schwarzfischer, die bereits seit Herbst 1928 den Päderasten und Strichjungen als Schlupfwinkel und als Ort zur Anbandlung widernatürlicher Unzucht dient, bildet eine große Gefahr für die heranwachsende Jugend und eine große Gefahr für die Sittlichkeit und Sicherheit im allgemeinen.“

Auszug aus dem Bericht der Polizei-Abt. III, Dienststelle 21 vom 21. Februar 1929

Hansjörg Maurer war Chefredakteur beim Völkischen Beobachter und bis zu seinem Ausschluss 1933, Mitglied der NSDAP. In seinem Pamphlet äußert er sich abwertend gegenüber homosexuellem Begehren. Es sei „eine ekelhafte, geschlechtliche Verirrung […].“ Seine Schrift, die sich auf den §175 bezieht, solle helfen den „[…] fortgesetzten Schwindel von der angeborenen Sexualität auf[zu]heben und Anregungen geben, in welcher Weise in den Kampf eingegriffen werden muss.“

siehe Hansjörg Maurer, in „§175 – Eine kritische Betrachtung des Problems der Homosexualität“, München 1921
Quelle: Forum Queeres Archiv München e.V.

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Am 20. Oktober 1934 stand die Gastwirtschaft Schwarzfischer wieder im Zentrum einer Großrazzia. Sie bildete den Auftakt zu Verfolgungsmaßnahmen gegen Homosexuelle im Reich. 39 der an diesem Abend Verhafteten wurden gemäß §175 verurteilt und ins KZ Dachau gebracht.

Auch im Nachkriegsdeutschland wurde der Paragraph §175 rigoros angewendet. Treffpunkte von Homosexuellen wurden immer wieder Zielscheibe von Razzien und Schikanen. So kam es allein zwischen 1950 und 1965 zu mehr als 100.000 Verfahren und ungefähr 50.000 Verurteilungen auf Grundlage des §175.

1969 wurde der §175 schließlich entschärft und bestand noch als Jugendschutzparagraph weiter. Auf dieser Grundlage konnte sich endlich eine entkriminalisierte Lesben- und Schwulenbewegung entwickeln. Doch es dauerte bis ins Jahr 1994 bis der §175 auch auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik ersatzlos gestrichen wurde.

An der Ecke Oberanger/Dultstraße gedachte 2009 das Forum Queeres Archiv München, zusammen mit der Rosa Liste, zum ersten Mal den Lesben und Schwulen, die während des Nationalsozialismus Opfer von Verfolgung und Gewalt wurden.

Foto: Horst Middelhoff
Quelle: Forum Queeres Archiv München e.V.

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Foto der Einweihung von oben gefilmt
Foto: unbekannt
Quelle: Forum Queeres Archiv München e.V.

Am 27. Juni 2017 eröffnete Oberbürgermeister Reiter schließlich ein, von der Künstlerin Ulla von Brandenburg gestaltetes Mahnmal in Form eines rosa Winkels. So wird an der Stelle des einstigen Schwarzfischers, heute ein Zeichen für eine bunte und offene Stadtgesellschaft gesetzt.

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Städtische Räume sind nicht einfach gegeben oder existent, sondern in hohem Maße durch die gesellschaftliche Realität von Individuen beeinflusst. Der städtische Lebensraum konstituiert sich anhand persönlicher Lebenszusammenhänge. Jede*r Stadtbewohner*in hat eine individuelle Landkarte des städtischen Raumes im Kopf und nimmt die Stadt in einer bestimmten Weise wahr, die den Mitmenschen verborgen bleibt. Öffentliche Räume und Gebäude haben für unterschiedliche Personen unterschiedliche Bedeutungen, die sich überlagern und in ihrer Mehrschichtigkeit auf den ersten Blick nicht erkennbar sind. gayze geht der Frage nach, wo in München queere Menschen – Lesben, Schwule, Bi, Trans, Inter*, nonbinary – die Bedeutung von Orten geprägt haben.

Das Projekt erfasst Räume, an denen queeres Leben in München stattfindet bzw. stattgefunden hat und macht deren vielfältige Geschichte anhand einer digitalen Karte sichtbar. Die Spuren verdeutlichen, dass der urbane Raum seit jeher durchwoben ist von einem Geflecht queerer „Gegenöffentlichkeiten“, die traditionelle, heteronormative Hierarchien außer Kraft setzen.

Anhand einer eigens erstellten Website werden die queeren Orte mit unterschiedlichem Material wie Bildern, Tonaufnahmen, historischen Dokumenten und anderen Objekten verknüpft, um die Historie des jeweiligen Ortes offenzulegen. Die entstandenen Bricolagen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wollen keine abgeschlossene Geschichte erzählen, sondern ein Schlaglicht werfen auf die möglichen Ausformungen queeren Lebens.

gayze – Queere Orte in München ist von Anfang an als offen und prozesshaft angelegt. Die Karte, die in Zusammenarbeit mit dem Forum Queeres Archiv München und der PLATFORM entstanden ist, soll im Laufe der Zeit um weitere Orte ergänzt werden. Nutzer*innen sind zur Teilhabe aufgerufen. Persönliche Anmerkungen, neue Orte und Objekte sind immer erwünscht. Langfristig soll gayze zum digitalen Archiv queerer Stadtgeschichte(n) in München werden, durch welches interessierte Personen ihre Stadt aus einer anderen Perspektive sehen und abseits der ausgetretenen Pfade auf Erkundungstour gehen können.

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